Erläuterung
Wie könnte ein neuer Dorfteil von Tobel-Tägerschen ausschauen? Diese Frage hat sich zuerst einmal die Gemeinde mit ihren Planern gestellt und mit dem Kauf des Postackers eine hervorragende Ausgangslage geschaffen. Die Lage zwischen Hauptstrasse und Bahnlinie, die Nähe zum Bahnhof und zum Dorfladen, zur Schule und dem Bach, mit Blick in die freie Landschaft scheinen dafür ideal zu sein.
Unsere Aufgabe war es nun, diese bestehenden Orte von Tobel-Tägerschen zu vernetzen: das Dorf und die Schule mit dem Bahnhof und der Dorfladen mit dem Postacker, dem Bach und dem Saum-Quartier. Dabei haben wir die Geometrien des bestehenden Dorfes übernommen, im östlichen Teil diejenige der Hauptstrasse, im westlichen Teil diejenige der Fliegeneggstrasse. Wo diese Geometrien zusammen kommen entsteht nun der Anger, ein begrünter, gemeinschaftlich genutzter, leicht abfallender Platz, der Mittelpunkt des neu bebauten Postackers. Unsere Idee war es, die Strukturen des bestehenden Dorfes weiter zu stricken, damit das neue Quartier Teil von Tobel-Tägerschen wird. Mit dem neuen, länglichen Platz wollen wir das Postackerquartier zentrieren und ihm eine eigene Identität geben, die aber auch ins übrige Dorf ausstrahlen soll. Um das Quartier zukunftsfähig zu gestalten, sollte es nachhaltig sein: ökonomisch, ökologisch und auch gesellschaftlich. Das heisst, es soll eine gewisse Dichte aufweisen, mit nachhaltigen Materialien gebaut werden, selber Energie erzeugen und selbstverständlich attraktiv sein darin zu Wohnen. Zum attraktiven Wohnen auf dem Dorf gehört auch der Bezug zum Boden, den man bewirtschaften und darauf Gemüse pflanzen kann, der Bezug zur Tier- und Pflanzenwelt und auch zur offenen, unbebauten Landschaft.
Der hier vorgestellte Projektvorschlag besteht aus einem breiten Angebot von verschiedenen Wohnungen und Wohnformen. Im östlichen Teil des Angers bilden je drei zu einem U-förmigen Cluster zusammengestellte Gebäude Wohnhöfe. Sie sind der Komturei Tobel nachempfunden, auch weil ihre Fronten zum Platz aus drei, einer traufständigen und zwei giebelständigen Fassaden bestehen. Diese Bauten sind auch besonders für «Wohnen im Alter» geeignet. In ihren Höfen kann gespielt, gewohnt und auch gepflanzt werden. Ihnen gegenüber wird der zentrale Platz mit traufständigen, in der Höhe versetzten Bauten gefasst. Ihre Erdgeschosse können gewerblich genutzt werden. Im unteren Teil der Häuserzeile ist eine Kita mit weitläufigem Garten vorgesehen. Abgeschlossen wird der dreieckige Platz durch ein grosses, giebelständiges Gebäude. Seine grosszügige Loggia im Erdgeschoss soll der Gemeinschaft dienen. Im westlichen Teil des Postackers sind verschieden grosse Reihenhäuser vorgesehen. Ihre üppigen Gärten sind den Häusern zugeordnet. Ein Weg vom Dorfladen über den Platz und über die Wisebachbrücke führt zum Saumquartier. Erschlossen ist es über die bestehende Erschliessungsstrasse. Seine zu Paaren zusammengestellten Einfamilienhäuser und die gegenüber liegenden Wohnbauten bilden den Abschluss zur offenen Landschaft im Westen.
Um dem neuen Quartier einen dörflichen Ausdruck zu verleihen, und auch um die Sonnenenergie optimal zu nutzen sind alle Wohnbauten mit einem Steildach versehen. Durch die leicht abfallende Topographie und die verschiedenen Ausrichtungen der Gebäude entsteht eine bewegte Dachlandschaft. Die Gebäude sind so angeordnet, dass eine gute Durchlüftung des Quartiers gewährleistet ist. Die geplanten Gewerbe- / Dienstleitungsbauten werden neben die Satex-Rimar platziert. Die Bauten können auch als Studios oder Büros genutzten werden und sind direkt von der Fliegeneggstrasse erschlossen.
Das neue Postackerquartier ist mit Fuss- und Velowegen gut erschlossen. Der in nord-südlicher Richtung verlaufende Veloweg entlang des Baches verbindet das Dorf mit dem Bahnhof und ist von regionaler Bedeutung. Auch der Fussweg vom Dorf und der Schule zum Bahnhof führt durch den neuen
Dorfteil. Das Saumquartier wird über einen west-östlich verlaufenden Weg zusätzlich erschlossen. Die
Autoerschliessung erfolgt im Norden von der Hauptstrasse, im Süden von der Fliegeneggstrasse aus. Dort sind jeweils Abfahrten in die Autoeinstellhallen vorgesehen. Der Weg entlang des Platzes ist zwar befahrbar, soll aber nur für Spitex, Post etc. genutzt werden. Das Projekt ist gut in einzelne Abschnitte und Parzellen unterteilbar und dem entsprechend auch gut in verschiedenen Etappen zu realisieren.
Aussenraum
Die Orientierung im Dorf fällt leicht, die Verhältnisse sind überschaubar. Die Wegachsen sind intuitiv angelegt und die Maschenweiten des Wegnetzes auf die Bewegung zu Fuss und damit ein lebendiges Quartier abgestimmt.
Eine Grundstruktur ökologisch wertvoller Baumarten mit hohem Biodiversitätsindex begleitet die Hauptachsen der Wege in differenzierten Intervallen; Eichen und Linden etwa als Leitarten am Anger, zusätzlich Föhren an den Zugangswegen. Dieses Wegnetz und seine Pflanzungen könnten teils unabhängig von den Bauetappen gepflanzt werden, um die Wege bereits ‘vorzuspuren’ und anzuwachsen. Den Anger säumen unmittelbar Gebäudevorzonen, die sowohl als Filter zu den Wohnungen und Gewerbeflächen wie auch als Schwellenräume der Begegnung funktionieren. Der Anger selbst wird von einer Garten- und Sitzmauer einerseits und einer gepflasterten breiten Wasserrinne andererseits strukturiert. In der Grünfläche können Pflanzgärten nach Bedarf betrieben werden, Kleintiergehege oder Spielelemente für die Kleinsten sind ebenso denkbar. Ein Teil bleibt freie Wiese, der Allmend-Charakter dieser Fläche bleibt oberste Spielregel.
Die Zugänglichkeit auch für Velos ist optimal; in sämtlichen Quergassen zum Anger sind genügend Veloabstellplätze vorgesehen. Und beim Gemeinschaftsraum im Kopfbau könnte auch eine kleine Werkstatt Platz finden neben den Geräten für den Garten. Während der Anger stärker der Nachbarschaft dient, sind die Rückzugs- und Freiräume am Wisebach dem ganzen Dorf gleichermassen zugewandt.
Die Topografie als ‘unsichtbarer Akteur’ der Gestaltung ist eine Grundlage für das ortsbauliche Muster und damit auch für das Fassen, Führen und die Retention des Regenwassers, um es entweder zu versickern oder Überschuss an den Wisebach abzugeben.
Leitmotive der Landschaftsökologie an der Westflanke ist der Wisebach mit seiner Begleitpflanzung aus Erlen, Weiden und Birken sowie die bachbegleitende Staudenflur sowie Kleinstrukturen für Lurche. An der Ostflanke sind es die Hecken und Zäune entlang der Gartengrenzen, die zum Biotop für Gartenrotschwanz und Zauneidechse aufgewertet werden; Gartengehölze von der Hundsrose über Beerensträucher zu Obst- und Nussbäumen gehören mit Stein- und Holzhaufen dazu.
Nachhaltigkeit
Das vorliegende Projekt verfolgt das Ziel, eine nachhaltige Dorferweiterung zu schaffen, welche sowohl den Bedürfnissen der Bewohner als auch den ökologischen Anforderungen gerecht wird. Das Areal befindet sich in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof und zur Hauptstrasse, was eine optimale Erreichbarkeit sowohl für den Individualverkehr als auch für den öffentlichen Verkehr gewährleistet. Zudem liegt es in unmittelbarer Nähe des Dorfladens, der Schule, des Baches und der offenen Landschaft, wodurch
eine enge Verbindung zur lokalen Gemeinschaft und zu naturnahen Erholungsräumen besteht.
Mit optimalen Gebäudetiefen von 12 bis 15m lässt sich eine grosse Bandbreite an Wohnungstypologien entwickeln – von Kleinst- bis Clusterwohnen. Die Kombination aus verschiedenen Wohnformen und Gewerbenutzungen ermöglicht eine Flexibilität der Nutzung und schafft Wohn- und Arbeitsraum für alle Lebenslagen.
Im Bereich der Mobilität wird besonderer Wert auf den Fuss- und Fahrradverkehr gelegt. Es werden durchgehende Wege für Fussgänger und Fahrradfahrer geschaffen, um sichere und attraktive Verbindungen zu gewährleisten. Zusätzlich werden ausreichend Abstellmöglichkeiten für Fahrräder, Lastenräder, Kinderwagen usw. vorgesehen. Das geforderte Angebot von 1.5 Parkplätzen pro Wohnung ist eigentlich mit dem Ziel der 2000-Watt-Gesellschaft nicht zu vereinbaren. Die Realisierung in Etappen und Mobilitäts-Sharing Konzepte bieten jedoch die Chance den tatsächlichen Bedarf periodisch zu prüfen und zu reduzieren. Um den Zielen der Elektromobilität gerecht zu werden, sollen die Parkplätze entsprechend der SIA 2060 Ausbaustufe C (power to parking) elektrifiziert werden.
Das Energiekonzept des Areals basiert auf einer ganzheitlichen Betrachtung. Schrägdächer werden als Ausdruck ländlicher Architektur und zur Nutzung der Sonnenkraft genutzt. Dabei wird das Maximum an Dachflächen für die Installation von Photovoltaik-Anlagen genutzt, um über den Eigenverbrauch hinaus Energie zu produzieren. Zur Wärmegewinnung kommen Erdsonden und Wärmepumpen zum Einsatz, wobei die Erdsonden mit einem Wärmebypass zur Kühlung und Speicherung der Energie regeneriert werden können. Die Erdsondenfelder sind über das Areal als Ganzes zu Konzipieren.
Um die graue Energie und die Treibhausgase zu reduzieren, sollen klare Aussagen zur Materialwahl z.B. mit einem Fokus auf hybride Holzbauten definiert werden. Einfache Lastabtragungen mit optimierten Spannweiten, eine konsequente Systemtrennung sowie radikal vereinfachte Lüftungskonzepte müssen angestrebt werden.
Ein weiterer wichtiger Aspekt des Projekts bilden die Themen Mikroklima und Biodiversität. Es wird besonderes Augenmerk auf die Retention des Meteorwasser gelegt, insbesondere aufgrund der nicht begrünten Dächer. Eine möglichst lokale oberflächliche Versickerung ist anzustreben um die Prinzipien der “Schwammstadt“ umzusetzen. Die Versiegelung des Bodens wird auf ein Minimum beschränkt, wobei im Prinzip nur die Hauptverkehrswege versiegelt werden sollen. Durch eine angepasste Bepflanzung soll der sommerliche Wärmeschutz gefördert werden. Die offene Stellung der Einzelbauten gewähr- leistet eine gute Durchlüftung des Areals. Pflanzgärten und Massnahmen zur Förderung der Biodiversität schaffen einen direkten Bezug zur Natur und tragen zur ökologischen Vielfalt bei. So werden mit allen zur Verfügung stehenden Mittel angenehme lokalklimatische Situationen geschaffen.
Insgesamt strebt das Projekt an, ein nachhaltiges Areal zu schaffen, das eine hohe architektonische Qualität aufweist, den Bedürfnissen der Bewohner gerecht wird und gleichzeitig einen Beitrag zum Klima- und Umweltschutz leistet. Es berücksichtigt Aspekte wie Verkehr, Energie, Mikroklima, Biodiversität und den Bezug zur Natur, um ein lebenswertes und zukunftsfähiges Umfeld für die Gemeinschaft zu schaffen.